Architekturbiennale 2016
Erschienen in profil, 30.05.2016
Täglich liest man in den Medien über Konflikte, Kriege und deren Auswirkungen auf unser Leben. Da wird man sich doch einmal ablenken dürfen, gerne auch mit schönen Dingen wie beispielsweise guter Architektur. Und dann lautet das Thema der diesjährigen Biennale ausgerechnet „Reporting from the Front“. Der Begriff „Front“ klingt im Deutschen ohnehin schon so kriegerisch. Alejandro Aravena, Direktor der 15. Architekturbiennale, sagte, er sei nur im deutschsprachigen Raum auf den Zusammenhang mit Krieg angesprochen worden. Er verstehe unter Front eher geltende Konventionen und Widerstände, die es zu überwinden gelte, oder Probleme, die mit baulichen Mitteln zu lösen seien.
Wie man Problemen durchaus auch mit Poesie begegnen kann, stellt Aravena gleich zu Beginn unter Beweis. Als Prolog zur Hauptausstellung finden sich sowohl als auch im Zentralpavillon in den Giardini fast mystisch wirkende Räume: Von der Decke des Arsenale hängen verbeulte Aluschienen, die Wände zieren sauber übereinandergeschichtete Gipskartonplatten. Dort, wo man sonst die Sponsoren und die Einleitung zur Hauptausstellung vorfindet, füllt eine Installation den Raum, die kaum Worte braucht. Aravena hat die übriggebliebenen Baureste der letzten Kunstbiennale, etwa 100 Tonnen Müll, in den beiden Räumen neu inszeniert – und leitet so in das Thema der Biennale 2016 ein.
Um dieses aber zu verstehen, muss man ein wenig über die Arbeit des chilenischen Architekten Aravena wissen. Sein Büro, genannt Elemental, wurde mit halbfertigen Reihenhäusern bekannt, errichtet für sozial Schwache in Chile. Die Bewohner sollen ihr jeweiliges Haus in Eigenregie weiterbauen, wenn der Raumbedarf sich erhöht oder das nötige Geld vorhanden ist. Hilfe zur Selbsthilfe: ein ungewöhnlicher Ansatz, für den Aravena und sein Team bei den Bauherren viel Überzeugungsarbeit leisten mussten. Genau darum geht es bei der diesjährigen Architekturbiennale: wie man Barrieren überwinden und damit einen Beitrag für das gesellschaftliche Miteinander leisten kann.
Der Direktor hat für die Biennale knapp 90 Teams eingeladen, die in ihrer Arbeit ebenfalls ungewohnte Wege gehen, sich für soziale, ökologische oder urbane Belange einsetzen. Die Auswahl ist ihm gelungen, man begegnet hier vielen jungen, teils noch unbekannten Architekten. Alejandro Aravena scheint, obwohl knapp 50, mit seiner Wuschelfrisur, seinem Elan und Idealismus selbst einer dieser jungen Architekten zu sein. Er bat die teilnehmenden Teams nicht um eine klassische Projekt- oder Büropräsentation sondern um Hintergründe. Er stellte jedem zwei entscheidende Fragen: Wie sieht das Problem aus, und welche Lösung bietet sich? Dadurch ist eine Art Geschichtensammlung entstanden, die von fremden oder bekannteren Ländern erzählt, von Bedürfnissen und Ängsten der jeweiligen Bevölkerung – und von den Möglichkeiten der Architektur, darauf zu reagieren.
Da ist etwa die Geschichte eines Polizisten aus Durban, Südafrika, der es satt hatte, jeden Tag dieselben Personen zu verhaften und wieder frei lassen zu müssen – man wird da unweigerlich an die Probleme in Wien entlang der U6 erinnert. Er jedenfalls wollte das Problem endlich anders angehen – und bat einen Architekten um Hilfe. Gemeinsam wurden Andrew Makin und Asiye eTafuleni stadtplanerisch aktiv: Aus Sackgassen wurden neue Wegeverbindungen, aus einem illegalen machten sie einen legalen Marktplatz. Aus einer der gefährlichsten Ecken Durbans wurde ein lebendiger öffentlicher Raum. Oder man erfährt, wie der portugiesische Architekt Souto de Moura, mit dem eigenen Bauerbe umgeht; er musste sein Erstlingswerk, die Markthalle in Braga, abreißen, um ein neues Gebäude zu errichten. Großformatige Bilder dokumentieren die Wandlung von der Markthalle in das neue Gebäude, das natürlich Reminiszenzen an das alte aufweist. Und man begegnet den großen blauen Architekturmodellen des deutschen Teams BEL. Die Architekten sehen, ähnlich wie Aravena, die Zukunft des kostengünstigen Wohnbaus in halbfertigen Strukturen, die von den künftigen Bewohnern innerhalb eines vorgegeben Rahmen selber ausgebaut werden können. Im Zuge der IBA in Hamburg konnte BEL erstmal ein solches Gebäude errichten, nun will es diese auch in anderen deutschen Städten realisieren.
In den Pavillons der Länder beschäftigt man sich naturgemäß auch mit anderen Themen, aber soziale Fragen werden auch hier großgeschrieben. Nicht von ungefähr geht es in den österreichischen und deutschen, in den finnischen und griechischen Beiträgen um Zuwanderung, Unterbringung und Integration von Flüchtlingen. Während Österreich sich auf die Realisierung von konkreten Projekten in Wien konzentriert, hat man im deutschen Pavillon die Ankunftsbedingungen in den deutschen Städten analysiert; man gibt der Politik Empfehlungen und inszeniert sich selbst als offenes Haus. Dafür hat man sogar vier große Öffnungen in den denkmalgeschützten Pavillon gebrochen. Spanien zeigt dagegen moderne Bauruinen, ein Resultat des gedankenlosen Baubooms und der darauffolgenden Wirtschaftskrise. Im koreanischen Pavillon geht es um den Immobilienmarkt in Seoul: Horrende Grundstückspreise und die hohe Bevölkerungsdichte haben zu sehr kreativen Auslegungen der Bauordnung geführt. In einem großen Stadtpanorama sind all jene Teilflächen von Gebäuden rot eingefärbt, die illegal errichtet wurden: verglaste Balkone und überbaute Flachdächer. Erst jetzt beginnen koreanische Architekten sich mit ihrem Können einzubringen, erzählt Kurator Sung Hong Kim. Inspirierend ist wie stets auch der japanische Biennale-Beitrag. Junge Architekten stellen da ihre Arbeiten vor: kleine bauliche Eingriffe mit großer Wirkung. Am schönsten aber ist es immer dort, wo die Arbeiten in räumliche Erlebnisse münden – etwa im Schweizer Pavillon, für den der Architekt Christian Kerez eine abstrakte weiße Wolke geschaffen hat, in die man auch hinein klettern kann. Oder die Lichtinstallation von Transsolar im Arsenal: Gebündelte Lichtstrahlen fallen auf den Boden, die Besucher versuchen sie einzufangen oder lassen sich in dieser theatralischen Inszenierung fotografieren.
Auf dem Weg über das Biennale-Gelände hört man auch kritische Stimmen: Die heurige Biennale sehe doch sehr nach erhobenem Zeigefinger aus, von der Resteverwertung der Kunstbiennale 2015 bis hin zu den vielen ökologisch inspirierten Beiträgen. Oberlehrerhaftes aber findet man tatsächlich wenig, eher Leidenschaft und Idealismus. Die 15. Architekturbiennale ist wie ein gutes Buch voller Erzählungen, die hoffentlich weitergetragen werden.