Renovieren mit Gorilla

Renovieren mit Gorilla

26. März 2016
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Durch die hohe Zuwanderung ist in den Städten die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum größer denn je. Wie aber können wir die Nachfrage bedienen und gleichzeitig integrative bauliche Lösungen schaffen? Ein Symposium in München suchte darauf Antworten.

Erschienen in Der Standard, 26.03.2016

Als Go­ril­las ver­klei­de­te Per­so­nen drin­gen in ein leers­te­hen­des Wohn­haus ein, lau­fen die Stie­gen hoch und ma­chen da­bei af­fe­nähn­li­che Lau­te. Ziel­stre­big be­tre­ten sie ei­ne der Woh­nun­gen und be­gin­nen dort auf­zu­räu­men und zu säu­bern. Sie rei­ßen al­te Fuß­bo­den­be­lä­ge raus, schlei­fen Fens­ter- und Tür­rah­men und strei­chen die Wän­de neu. Da­zu rappt ei­ne eben­falls als Go­ril­las ver­klei­de­te Band: „Ich glau­be, ihr reißt das Ding nicht ab, denn ir­gend­wie wirft das ein Scheiß­licht auf die Stadt! Wenn je­der merkt, es geht euch gar nicht ums Wohn­raum schaf­fen, son­dern eher ums Koh­le ma­chen.“

Tat­säch­lich hat­te die Stadt Mün­chen für die be­sag­te Im­mo­bi­lie im an­ge­sag­ten Gärt­ner­platz­vier­tel be­reits den Ab­riss­be­scheid aus­ge­stellt. Ins­ge­samt zwei leers­te­hen­de Wohn­häu­ser in der Mül­ler­stra­ße so­wie ei­ne Werks­tät­te im Hin­ter­hof die­ser Bau­ten soll­ten ei­nem In­ves­to­ren­neu­bau wei­chen. Ein Scheiß­licht auf die Stadt. Das Vi­deo mit den Go­ril­las, das der Stadt da­rauf­hin zu­ge­spielt wur­de, soll­te sie zum Ein­len­ken be­we­gen.

Zu se­hen war das Vi­deo zu­letzt vor zwei Wo­chen beim Mün­chner Sym­po­si­um „Flucht nach vor­ne“, zu der die Deut­sche Bun­des­stif­tung Bau­kul­tur und der Bund Deut­scher Ar­chi­tek­ten Bay­ern Ar­chi­tek­ten, Stadt­pla­ner und Po­li­ti­ker ein­ge­la­den hat­ten, um ge­mein­sam über das The­ma „Wo und wie sol­len Flücht­lin­ge woh­nen?“ zu dis­ku­tie­ren. Till Hof­mann, Chef des Mün­chner Lust­spiel­hau­ses und Mit­ini­ti­ator die­ser Gue­ril­la-Re­no­vie­rungs­ak­ti­on, er­zähl­te bei die­ser Ge­le­gen­heit, wie man mit der Ak­ti­on den Ab­riss der Häu­ser ver­hin­dern und da­mit für güns­ti­gen Wohn­raum kämp­fen wol­le.

Fik­ti­ve Im­mo­bi­lien­fir­ma

Ge­mein­sam mit dem Film­ema­cher Chris­ti­an Gan­zer und dem Jour­na­lis­ten Alex Rüh­le macht Till Hof­mann schon seit län­ge­rem mit der fik­ti­ven Im­mo­bi­lien­fir­ma „Gold­grund Im­mo­bi­lien“ auf Misss­tän­de auf dem Mün­chner Woh­nungs­markt auf­merk­sam. Bei der Woh­nungs­re­no­vie­rung wur­den sie von pro­mi­nen­ten Mün­chner Per­sön­lich­kei­ten un­ter­stützt – un­ter an­de­rem vom Fuß­bal­ler Meh­met Scholl, dem in­zwi­schen ver­stor­be­nen Ka­bar­et­tis­ten Die­ter Hil­de­brandt so­wie den bei­den Bands Sport­freun­de Stil­ler und Moop Ma­ma.

Tat­säch­lich führ­te das Vi­deo zu ei­ner De­bat­te um den städ­ti­schen Um­gang mit Leers­tand – und letz­tend­lich auch da­zu, dass die Stadt Mün­chen den Ab­riss­be­scheid zu­rück­zog und ge­mein­sam mit den Ak­ti­vis­ten ein Kon­zept für den Stand­ort ent­wi­ckel­te. Das war 2013.

Im Jän­ner die­sen Jah­res ha­ben die Ini­ti­ato­ren, die für das Pro­jekt mitt­ler­wei­le ei­ne So­zi­al­ge­nos­sen­schaft mit dem Na­men „Bel­le­vue di Mo­na­co“ grün­de­ten, die Ein­wil­li­gung der Stadt Mün­chen be­kom­men, die drei Häu­ser in der Mül­ler­stra­ße in Erb­bau­recht auf 40 Jah­re zu be­trei­ben. Nun be­gin­nen sie mit den Sa­nie­rungs­ar­bei­ten: Woh­nun­gen für jun­ge Flücht­lin­ge, für Fa­mi­li­en mit Fluch­thin­ter­grund so­wie ein Be­geg­nungs- und Ver­an­stal­tungs­zen­trum.

Beim Sym­po­si­um „Flucht nach vor­ne“ wur­den auch an­de­re vor­bild­haf­te Bau­pro­jek­te vor­ge­stellt, wie et­wa das „Vin­zi­Rast mit­ten­drin“ in Wien, ein Wohn­haus für ehe­ma­li­ge Ob­dach­lo­se und Stu­den­ten nach Plä­nen des Ar­chi­tek­tur­bü­ros gau­pen­raub +/–, so­wie ei­ne tem­po­rä­re Bre­mer Con­tai­ner­sied­lung der Ar­chi­tek­ten Feld­schnie­ders + Kis­ters. Die Vor­trä­ge und Dis­kuss­io­nen lie­ßen je­doch er­ken­nen, dass es längst nicht mehr da­rum geht, tem­po­rä­ren Wohn­raum für Flücht­lin­ge zu schaf­fen, son­dern um be­zahl­ba­ren Wohn­raum für al­le. Ge­ra­de in den Bal­lungs­zen­tren ist die Nach­fra­ge enorm. Lan­ge Zeit hat man in den deut­schen Groß­städ­ten die Au­gen da­vor ver­schlos­sen und auf die Leers­tän­de im Os­ten des Lan­des ver­wie­sen. Jetzt aber ist die Woh­nungs­not wie ein Bu­me­rang in die west­deut­schen Städ­te zu­rück­ge­kehrt.

Auch Mün­chen muss­te er­ken­nen, dass ihr der­zei­ti­ges Wohn­bau­pro­gramm nicht aus­rei­chen wird, der Nach­fra­ge nach leist­ba­rem Wohn­raum ge­recht zu wer­den, und star­te­te jüngst ein zu­sätz­li­ches Wohn­bau­pro­gramm un­ter dem Na­men „Woh­nen für al­le“. Bis 2019 will die Stadt in die­sem Rah­men zu den be­reits ge­plan­ten Wohn­bau­ten zu­sätz­li­che 3000 Woh­nun­gen er­rich­ten, 1000 da­von so­gar bis En­de des Jah­res. Ein gro­ßes Pro­blem sind – wie so meist – die feh­len­den Grund­stü­cke.

Woh­nen auf Stel­zen

„Wir ha­ben sämt­li­che Stadt­vier­tel nach mög­li­chen Bau­plät­zen durch­kämmt“, er­zähl­te Stadt­bau­rä­tin Eli­sa­beth Merk. „Denn wer fün­dig wer­den will, muss die Stadt auch un­ter neu­en Blick­win­keln be­trach­ten.“ Das er­ste Bau­pro­jekt im Zei­chen des neu­en Mün­chner Wohn­bau­pro­gramms ist dem­nach ein Haus auf Stel­zen. Nach­dem das Ge­bäu­de über dem Park­platz am Dan­te­bad er­rich­tet wird, sol­len da­durch nur „we­ni­ge Stell­plät­ze für die Stän­der und Trep­pen ver­lo­ren ge­hen“, wie es in ei­ner Mel­dung aus dem Mün­chner Rat­haus heißt.

Die grö­ße­ren, noch frei­en Grund­stü­cke lie­gen am Stadt­rand. Doch die Angst vor Ghet­toi­sie­rung ist in den gro­ßen Wohn­sied­lun­gen und Tra­ban­ten ei­ne gro­ße – zu Recht, meint Jür­gen Fried­richs. Seit Jahr­zehn­ten schon be­schäf­tigt sich der deut­sche So­zio­lo­ge mit städ­ti­schen Ar­muts­ge­bie­ten. Ak­tu­ell forscht er zum The­ma Flücht­lings­un­ter­brin­gung. Für Flücht­lin­ge brau­che man kei­ne oh­ne­hin schon be­nach­tei­lig­ten Vier­tel, son­dern ei­ne klein­räu­mi­ge Un­ter­brin­gung, sagt er. „Wenn der An­teil in ei­nem Wohn­vier­tel zehn Pro­zent über­steigt, dann ist mit Kon­flik­ten zu rech­nen.“

Fried­richs emp­fiehlt da­her das Prin­zip des „Pep­per-Pott­ings“. Dies ist ein stadt­so­zio­lo­gi­scher Fach­aus­druck, der für die rich­ti­ge Durch­mi­schung von Ei­gen­tums­woh­nun­gen und Woh­nun­gen für Ein­kom­mens­schwa­che in ei­ner Stra­ße steht – wie eben die rich­ti­ge Mi­schung von Pfef­fer­kör­nern auf ei­nem Ge­richt.

Im Gärt­ner­platz­vier­tel wer­den durch das Pro­jekt Bel­le­vue di Mo­na­co 14 Woh­nun­gen ge­schaf­fen. Bei dem drin­gen­den Be­darf an be­zahl­ba­ren Woh­nun­gen mu­tet das wie ein Trop­fen auf den hei­ßen Stein an. Und doch ist das Pro­jekt ein wich­ti­ger Bei­trag zur so­zia­len Durch­mi­schung in der Mül­ler­stra­ße. Ein paar Schrit­te wei­ter nur be­fin­det sich hier mit dem 2013 fer­tig­ge­stell­ten „The Se­ven“ ei­ne der lu­xu­riö­ses­ten Wohn­im­mo­bi­lien Mün­chens. 20 Mil­lio­nen Eu­ro sol­len al­lein für das Pent­hou­se be­zahlt wor­den sein.

24 Mil­lio­nen Eu­ro für nichts

„Im Vor­feld un­se­rer Gue­ril­la-Re­no­vie­rungs­ak­ti­on ha­ben wir in der Mül­ler­stra­ße ein fik­ti­ves Im­mo­bi­lien­pro­jekt ent­wi­ckelt und in ei­ner der Im­mo­bi­lien­such­ma­schi­nen ver­öf­fent­licht“, sagt Till Hof­mann von Bel­le­vue di Mo­na­co. „Die ober­ste Woh­nung ha­ben wir für 24 Mil­lio­nen an­ge­bo­ten. Für die ha­ben wir die meis­ten An­fra­gen be­kom­men.“

Durch Nut­zung der vor­hand­enen Leers­tän­de wird man die städ­ti­sche Woh­nungs­not kaum lin­dern kön­nen. Den­noch liegt in die­ser vor­hand­enen Bau­struk­tur ein Po­ten­zi­al für in­no­va­ti­ve und in­teg­ra­ti­ve Nut­zun­gen. Zwei in­ter­na­tio­nal viel be­ach­te­te Bei­spie­le gibt es in Ös­ter­reich ja schon: das Vin­zi­Rast mit­ten­drin und Mag­das Ho­tel im Wie­ner Pra­ter. Wir brau­chen mehr da­von.