Gemischte Gesellschaft
Erschienen in brand eins 10/2013
Die Idee entstand im Herbst 2009. Studenten besetzten wegen schlechter Studienbedingungen wochenlang das Audimax der Universität Wien. Zu ihnen gesellten sich Obdachlose, auf der Flucht vor der Kälte. Bald halfen sie, Flugzettel zu kopieren und beim Kochen. So entstand ein Miteinander.
Lässt sich die Erfahrung aus dem Hörsaal mit in den Alltag nehmen? Die Studenten wandten sich an Hans Peter Haselsteiner, Gründer und Großaktionär des Baukonzerns Strabag, fragten ihn, ob er sie beim Projekt eines gemeinsamen Wohn- und Arbeitshauses unterstütze. Eine Immobilie hatten sie schon im Auge: ein leer stehendes Biedermeierhaus in zentraler Lage und mit angeschlossenen Werkstätten. Haselsteiner ist für sein soziales Engagement bekannt. Er schickte die Anfrage weiter an Cecily Corti, Obfrau der Vinzenzgemeinschaft St. Stephan, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Obdachlosen ein Zuhause zu geben.
Heute steht auf der sanierten Fassade des Hauses in schwarzen und roten Lettern „Vinzirast – mittendrin“, dahinter findet man auf 15 00 Quadratmetern zehn Wohngemeinschaften für rund 30 Studenten und ehemals Obdachlose sowie ein Restaurant und Räume für Lesungen und Filmvorführungen. Die Vizenzgemeinschaft ist Trägerin des Hauses. Der Umbau kostete pro Quadratmeter 1500 Euro netto. Finanziert werden konnte das Projekt dank zahlreicher Privatspenden. Die größte kam von Haselsteiner: Er kaufte das Haus und schenkte es dem Verein.
Der mit dem Umbau betraute Architekt Alexander Hagner sagt, er habe kein reines Wohnhaus kreieren wollen, sondern auch einen Treffpunkt für Leute aus dem Viertel. Viele Bauarbeiten hat er mit freiwilligen Helfern erledigt, darunter viele Obdachlosen. Dadurch sei ein Gefühl von Gemeinschaft aufgekommen.
In dem im Mai dieses Jahres eröffneten Haus bilden je drei Mieter eine Wohngemeinschaft. Die besteht aus drei Zimmern und einer Teeküche. Zusätzlich gibt es auf jeder Etage eine großzügige Küche und ein Wohnzimmer. Eine Dachterrasse und ein Freizeitraum stehen allen Bewohnern zur Verfügung. Die Miete für die Zimmer liegt zwischen 280 und 350 Euro pro Monat. Angesichts der Nachbarschaft zur Hauptuniversität ist das ein für Studenten attraktiver Preis. Auch viele ehemals Obdachlose können ihn zahlen. In der Mindestsicherung, die sie bekommen, sind knapp 200 Euro für Miete enthalten. Durch die Mitarbeit im Restaurant und in den Werkstätten können sich zudem alle Bewohner etwas dazuverdienen.
Studenten und Gestrandete unter einem Dach: dass das Ärger geben kann, haben alle gewusst. Ein paar Mal hat es schon gekracht. Einige der Ex-Obdachlosen hatten zu viel getrunken und herumgegrölt. Die Studenten waren genervt.
Konflikte sollen die Bewohner möglichst unter sich ausräumen. Die Vinzenzgemeinschaft stellt den Mietern aber auch Ansprechpartner zur Verfügung, die im Notfall vermitteln. Hagner sieht auch die Architektur als Mittel, Konflikten vorzubeugen. „Ich war vier Jahre im Internat, ich weiß, wie es ist, wenn man jemandem nicht begegnen will“, sagt er. Deshalb führen in dem Haus jetzt nicht mehr nur eine, sondern drei Türen in die Gemeinschaftsküche und wieder hinaus – Fluchtwege, wahlweise auf den Laubengang, in den Hausflur oder den angrenzenden Wohnbereich.
Unterschiedliche Auffassungen gibt es in puncto Sauberkeit. So mancher frühere Obdachlose hat kein Verständnis für die laxe Haltung der Studenten. „Ich finde, es ist keine Selbstverständlichkeit, dass der Haselsteiner so tief in die Tasche greift“, sagt einer, der sich als Gerald vorstellt. „Da muss man sich dann auch entsprechend drum kümmern.“ Für ihn ist die Wohngemeinschaft ein Sprungbrett. Sie hat ihn aus seiner Depression herausgeholt. Seit Kurzem arbeitet er sogar wieder als Versicherungsmakler.
„Wenn man wohnungslos ist, dann vergisst man, was man mal gern gemacht hat“, sagt ein weiterer Mann, der in der Küche gerade mit Teigkneten beschäftigt ist. Später wird er jedem, der vorbeikommt, etwas vom selbst gebackenen Brot abgeben. 46 Jahre ist er alt und eigentlich Architekt. Seinen Namen will er nicht nennen, das könnte ihm bei der Jobsuche zum Verhängnis werden, sagt er. Er sei hier die „Putze“ und als solche für die Toiletten vom Restaurant zuständig. Zudem kümmere er sich um den Dachgarten.
In den einzelnen Wohngemeinschaften leben nicht nur Studenten und Arme miteinander, sondern auch Studentinnen und Männer. Die 25-jährige Schauspielstudentin Magdalena bildet mit dem Brotbäcker und einem weiteren Mitbewohner eine WG. Sie hat vorher in Paris gelebt, wo die vielen Obdachlosen sie ins Grübeln brachten. Sie lese nicht so gern Bücher, sagt sie. „Lieber lerne ich von Menschen und höre zu, was sie zu sagen haben.“