Misstrauensantrag – Wie baut man im Zeitalter der Globalisierung?
Erschienen in profil 25, Juni 2014
Ist es Zufall oder gar Teil des Programms, dass just ein paar Tage vor Eröffnung der 14. Architekturbiennale Venedigs Bürgermeister und 34 weitere Personen wegen des Verdachts auf Bestechung festgenommen wurden? Sie werden der Geldwäsche und der Korruption im Zusammenhang mit der Großbaustelle Mose, einem mobilen Megadamm vor den Toren Venedigs, beschuldigt. Mag sein, dass man Italien eher die Tendenz zu korruptem Bauen zuschreibt als anderen Ländern, tatsächlich aber ist es ein globales Problem.
Rem Koolhaas, Kurator der diesjährigen Biennale, ist so etwas wie das Paradebeispiel eines global agierenden Architekten: Von seinem Büro in Rotterdam aus baut er auf der ganzen Welt, und er gilt zugleich als einer der wichtigsten Vordenker seiner Branche. Er hat mit seinem Team die Regeln des globalisierten Marktes analysiert und kritisch hinterfragt. So wundert es nicht, dass Koolhaas auch als Kurator der Architekturbiennale das Thema der Globalisierung auf die Tagesordnung gesetzt hat. Er selbst beschäftigte sich mit seinen Studenten von der Harvard- Universität in der Hauptausstellung zwar ganz wert- und ideologiefrei mit dem Bauen. Hier werden die Grundelemente des Bauens unter die Lupe genommen: von der Decke über das Dach bis hin zum Fenster (siehe Kasten). In den nationalen Pavillons hingegen geht es weltanschaulich aufgeladener zu. Unter dem Titel „Absorbing Modernity 1914–2014“ hat Koolhaas die Kuratoren der Länderpavillons mit der These konfrontiert, dass Architektur heute überall gleich aussehe – und dass die Modernisierung jede nationale Architekturausprägung geschluckt habe. Diese Biennale fordert ihre Besucher: In den Giardini ebenso wie im Arsenale wird eine überbordende Fülle an Informationen, Daten und Bildern geboten. Bisweilen wünscht man sich das Gebotene einfach als Buch mit einem Stuhl dazu. Ganz nebenbei hat Rem Koolhaas einige Änderungen für diese Biennale eingeführt: Wie ihr Vorbild, die Kunstbiennale, ist die Architekturbiennale erstmals nicht mehr nur drei, sondern sechs Monate lang zu besichtigen. Im Zuge der Eröffnung wurde nicht ein Architekt für sein Lebenswerk mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet, sondern eine Bauherrin. Die Kanadierin Phyllis Lambert hatte sich als junge Frau dafür eingesetzt, dass Mies van der Rohe 1958 als Architekt mit dem Bau des Seagram Building, eines Wolkenkratzers in Midtown Manhattan, beauftragt wurde; damit bereitete sie den Weg für eines der wichtigsten Gebäude der Moderne. Und für die Länderpavillons wurde, auch dies ein Novum, ein eigenes Thema zur Bearbeitung vorgegeben: „Absorbing Modernity“ eben – Lernen aus der Vergangenheit. Was aber erzählt uns die Architektur der letzten 100 Jahre über die Entwicklung eines Landes? Österreichs Länderpavillon gibt sich staatstragend: 196 Parlamente aus der ganzen Welt zieren in Form weißer, abstrahierter Modelle im Maßstab 1:500 die Wände des Hauses. Verschieden in Form und Größen, wirken sie in der Masse wie Variationen eines fein gestalteten Tapetenmusters.
Über die politische Ausrichtung der Staaten geben sie keinerlei Auskunft. Es scheint, dass die globale Architektursprache Demokratie und Diktatur gleichermaßen dient. Bei dem Bau eines Parlaments geht es um die Manifestation der Macht. Die Brisanz und Auslegung des Themas erschließt sich dem Besucher jedoch nur oberflächlich. Die Kuratoren Christian Kühn und Harald Trapp aber werfen spannende Fragen auf: Muss sich die Demokratie im Zeitalter der sozialen Medien architektonisch nicht anders manifestieren als vor 40, 60 oder 100 Jahren? Kommissär Kühn hat die Beschäftigung mit der Bauaufgabe Parlament auch mit Blick auf die Heimat gewählt: Das österreichische Parlament soll in Kürze saniert werden – und es stellt sich die Frage, ob ein Gebäude von 1883 überhaupt noch adäquat für das Österreich von heute ist. In der Ausstellung selbst – so schön sie anzusehen ist – findet man keine dieser oder ähnlicher Fragen, von Antworten ganz zu schweigen.
In Deutschland denkt man in größeren Maßstäben, wenigstens hier. Der Kanzlerbungalow aus Bonn wurde in den deutschen Pavillon in Venedig hineingesetzt. In Originalgröße. Die Kuratoren ließen das Gebäude des einstigen Bundeskanzlers Ludwig Erhard nachbauen und damit zwei politische Welten aufeinanderprallen. Der deutsche Biennale-Pavillon wurde 1938 eröffnet, der Umgang mit diesem Erbe bereitet bis heute Kopfzerbrechen. Der Kanzlerbungalow hingegen, errichtet 1964 von Sep Ruf, war die architektonische Manifestation der noch jungen Demokratie. Das Verblüffende daran: Obwohl die politische Bedeutung der beiden Gebäude einander diametral entgegengesetzt ist, gibt es in der Überlagerung der beiden Gebäude überraschend viele räumliche Übereinstimmungen. Zudem macht dieser Beitrag Spaß, da er – ähnlich wie der österreichische – einer der wenigen ist, den man begehen und erleben kann.
Gleich neben dem deutschen Pavillon liegt der koreanische. Auch hier stoßen politische Systeme und architektonische Ausdrucksweisen gegeneinander, jedoch existieren diese nebeneinander, nicht zeitlich voneinander getrennt. Die Kuratoren unternehmen den Versuch, die koreanische Halbinsel aus der Vogelperspektive zu betrachten: Was erzählt die Architektur über die beiden Teilstaaten? Wie unterschiedlich sind die Wege, die Süd- und Nordkorea in den vergangenen 60 Jahren genommen haben? Diese Pavillonbespielung, kuratiert von Minsuk Cho, wurde heuer als bester nationaler Beitrag mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Wie aber präsentiert sich ein Land, in dem vor einem Jahr aus dem Widerstand gegen ein Bauprojekt landesweite Unruhen hervorgegangen sind?
Die türkische Ausstellung heißt „Places of Memory“ und erzählt unter anderem die Geschichte des Atatürk-Kulturzentrums in Istanbul. 23 Jahre hat sein Bau gedauert, ein Jahr lang war es in Betrieb, bevor ein Brand das Gebäude zerstörte. Die Bauruine ist heute mit Bannern und Plakaten behangen und spiegelt das Land der Gezi-Proteste besser wider als jede moderne Glasfassade. So erzählt jede Nation hier ihre eigene Geschichte, fakten- und detailreich, manchmal auch ironisch und pointiert wie etwa die Russen, die in ihrem Pavillon Messestände aufgebaut haben, an denen sie plump historisierende Elemente ebenso wie das architektonische Erbe El Lissitzkys anpreisen. Diese Biennale ist voller politischer Storys, die von Erfolgen und Misserfolgen, Niedergang und Neubeginn künden. Die Biennale 2014 gilt eben nicht den Architekten, sondern den Gebäuden und ihren Auftraggebern: ein legitimer Misstrauensantrag an den Starkult der Branche.
Koolhaas’ Vision: Die Hauptausstellung der Biennale
In der von Rem Koolhaas kuratierten Hauptschau, Titel: „Fundamentals“, sieht es aus wie in einer Lehrsammlung. Jeder Bauteil wird detailliert und anschaulich vorgestellt: Welche Funktion haben ein Dach, eine Treppe, Fenster und Türen? Wie haben sich diese Bauelemente historisch entwickelt? Hier findet eine Dekonstruktion statt. Schon im ersten Raum wird das Thema Decken präsentiert. Da erhebt sich eine Kuppel mit dem jüngst restaurierten Deckengemälde von Galileo Chini. Für die Ausstellung hat man unter die gewölbte Decke eine abgehängte Decke befestigt, wie es sie in vielen Bürobauten der Welt gibt und wo der Luftraum dem Service geopfert wird, den Lüftungs-, Elektro- und Wasserrohren. Ob dies nun ein Fortschritt für die Architektur ist oder eher nicht, muss jeder Biennale-Gast für sich beantworten.